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Der Betriebsleiter 4/2018

Der Betriebsleiter 4/2018

DATENMANAGEMENT I

DATENMANAGEMENT I SPECIAL LIVE@ Trendthema Cloud Computing MES in der Datenwolke: zwischen Hype und praktischem Nutzen Immer mehr Unternehmen setzen auf Cloud Computing. Es gibt unzählige Studien und Umfragen, die zu diesem Ergebnis kommen. Und da sich Manufacturing Execution Systeme (MES) immer mehr zum Ausgangspunkt für den Weg in die Industrie 4.0 entwickeln, treiben Verbände und Branchenführer das Thema „MES in der Cloud“ voran. Doch wie sieht es in den Produktionshallen des deutschen Mittelstands wirklich aus? Was ist medialer Hype und was tatsächlich von Nutzen? Autor: Michael Möller, Geschäftsführer gbo datacomp GmbH, Augsburg Die Vorteile der Cloud sind hinlänglich bekannt und werden allseits betont: Der Administrationsaufwand im IT- Bereich und vor allem die damit verbundenen Kosten sinken. Dafür erhält man eine höhere Verfügbarkeit und bessere Skalierbarkeit der IT-Systeme. Durch deren Vernetzung profitiert man zudem von einem orts- und geräteunabhängigen Zugriff auf die in der Cloud befindlichen Daten. Kein Wunder also, dass Umfragen wie die der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht in Zusammenarbeit mit dem Softwarehaus Forcont vom September 2017 zu dem Ergebnis kommen, dass die Zahl der Unternehmen, die Cloud Computing einsetzen oder dies in absehbarer Zeit wollen, steigt. „Waren bisher auf diesem Gebiet vorwiegend Konzerne und Großunternehmen aktiv, so zieht der Mittelstand aktuell nach und entdeckt die Vorteile von Cloud Computing und Software-as-a-Service (SaaS)“, heißt es in der Umfrage mit dem Titel „Deutscher Mittelstand auf Wolke 7?“ Die Frage lässt sich getrost mit Nein beantworten, denn schaut man sich die Unternehmensbereiche an, in denen Cloud-Anwendungen eingesetzt werden, so sind das vornehmlich der Vertrieb, das Marketing, die Buchhaltung und das Personalwesen. Die Fertigung kommt in der Umfrage nicht vor. Und natürlich gibt es auch die Studien mit etwas ernüchternden Ergebnissen. So befragten die Commerzbank und TNS Infratest rund 4000 Führungskräfte aus dem Mittelstand, von denen der überwältigende Teil (86 Prozent) an die Chancen der Digitalisierung glaubt, aber nur 15 Prozent tatsächlich auf digitale Technologien wie etwa Cloud Computing setzen. Das Fazit: Der deutsche Mittelstand investiert kaum in digitale Innovationen. Sind Cloud-MES-Lösungen in der Produktion also reine Utopie? Die diffuse Welt der Cloud Der Begriff „Datenwolke“ beschreibt ungewollt den etwas nebulösen Charakter, der ihr innewohnt. Nicht jeder, der von Cloud spricht, meint dasselbe. Die Datenwolke umfasst Anwendungen, die vom reinen Speichern der Daten auf (externen) Servern, statt lokal auf Rechnern über die bereits erwähnten SaaS-Lösungen bis hin zu PaaS-Konzepten (Platform as a Service) reichen. Fazit: Die Cloud ist groß, ihre Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. Grob wird zwischen Private und Public Cloud unterschieden. Dienste und Anwendungen in der privaten oder öffentlichen Cloud sind für jedermann zugänglich, insofern mit dem Anbieter ein entsprechendes Vertragsverhältnis besteht. Unterhält ein Unternehmen eigene Server oder verfügt über den alleinigen Zugriff auf eine von einem Dritten gehostete IT-Infrastruktur, handelt es sich um eine Private Cloud. Die Mischform aus Public und Private Cloud wird Hybrid Cloud genannt. Häufig befinden sich dabei die Anwendungen im öffentlichen und sensible Unternehmensdaten im privaten Bereich der Datenwolke. 34 Der Betriebsleiter 4/2018

SPECIAL I DATENMANAGEMENT Hoher Aufwand, empfindliche Strafen Die Hybrid Cloud offenbart gleichzeitig das vorrangige Dilemma, weshalb der Mittelstand der Datenwolke skeptisch gegenübersteht: Man ist sich nicht sicher, wie sicher die eigenen Daten in der Cloud aufgehoben sind. Gerade die Daten aus Produktionsprozessen sind hochsensibel, denn sie beinhalten Informationen über diverse Produkteigenschaften. Der Aufwand für ein Maximum an Datensicherheit wird in Zukunft auch nicht weniger werden. Im Gegenteil: Am 25. Mai 2018 tritt beispielsweise die Datenschutz-Grundverordnung EU-weit in Kraft. Sie verschärft vor allem den Umgang mit personenbezogenen Daten, so dass Unternehmen hierfür adäquate Lösungen finden müssen, um keine der empfindlichen Strafen zu riskieren. Verstöße werden als Verletzungen der Grundrechte- Charta der EU angesehen und können bis zu 20 Millionen Euro oder vier Prozent des Umsatzes aus dem jüngsten abgeschlossenen Geschäftsjahr nach sich ziehen. Dass große Konzerne und Branchenführer das Thema „MES in der Cloud“ pushen, liegt daran, dass sie im Vergleich zu kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) einerseits einen leichteren Zugang zu externen Wissens- und Technologiequellen haben, Innovationskapazitäten also besser aufbauen können, und demzufolge auch über das Personal mit dem benötigten technischen und kaufmännischen Know-how verfügen. Andererseits stehen sie weniger in Abhängigkeitsverhältnissen zu Lieferanten und Abnehmern, befinden sich also eher in einer Machtposition, in der sie ihre Vorstellungen von einer effizienten Wertschöpfungskette zu ihrem Vorteil durchsetzen können. Technologische Grenzen Hinzu kommen technologische Hürden, die nicht unüberwindbar sind, aber erst in der Zukunft übersprungen werden. Kernaufgabe eines MES ist die Bereitstellung von Daten aus der Produktion, um Informationen in Echtzeit validieren und somit die Fertigung steuern zu können. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Prüfung bestimmter Produkteigenschaften, deren Daten ein MES in Millisekunden bereitstellt. Die Verarbeitung solch komplexer Daten in Echtzeit ist jedoch in der Cloud mit dem heutigen Stand der Technik nicht möglich. Des Weiteren entstehen durch die Dokumentation einzelner Prozessschritte enorm große Datenmengen, für deren Übertragung in die Cloud entsprechende Bandbreiten benötigt werden. Der Ausbau, insbesondere mit zukunftsfähiger Glasfaser, geht jedoch nur schleppend voran, vor allem in ländlichen Regionen. Laut einer Studie der WIK- Consult GmbH im Auftrag des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) standen Ende 2016 in Gewerbe- und Industriegebieten lediglich 10 Mbit/s flächendeckend zur Verfügung. Nur etwas mehr als ein Viertel (28 Prozent) der rund 71.800 Gewerbeflächen in Deutschland verfügt über mehr als 50 Mbit/s. Vorverdichtete Daten in der Cloud Nichtsdestotrotz ist der Einsatz von Cloud- Lösungen auch im Produktivbereich ein Thema, zum Beispiel wenn der Verpackungsprozess eines Produkts mittels einzelner Videos festgehalten wird. Die Videos werden anschließend in die Cloud hochgeladen, dort sequenziert und ausgewertet. Dafür spielt aber weniger die Breitbandanbindung als vielmehr die Rechenpower im Rechenzentrum die entscheidende Rolle. Außerdem muss die Auswertung nicht wie bei einem MES in Millisekunden vorliegen. Ebenso existieren im Markt auch SaaS- Anwendungen für MES. Sie sind jedoch eher für Klein- und Kleinstunternehmen interessant, die temporär bestimmte Auswertungen nutzen und dafür keine langfristigen und teuren Lizenzen kaufen wollen. Die Nachfrage nach SaaS-Anwendungen ist aber auch deshalb eher gering, weil produzierende Unternehmen die Cloud nicht dazu nutzen, um Prozessdaten aus der Fertigung zu übertragen und in der Datenwolke zu verarbeiten. Die Cloud wird stattdessen dort genutzt, wo vorverdichtete Daten zum Einsatz kommen. Für die Fertigungsplanung nutzen Betriebs- und Produktionsleiter immer häufiger mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablets, auf denen ihnen das MES Informationen wie den Online-Status einer Maschine oder Stillstände anzeigt, Bis auch Prozessdaten und Prozessvalidierung in der Datenwolke stattfinden, müssen die noch bestehenden Performance-Grenzen durchbrochen werden.– Vor allem aber muss die Skepsis gegenüber der Sicherheit derartig sensibler Unternehmensdaten in der Cloud sinken. Michael Möller, Geschäftsführer gbo datacomp GmbH, Augsburg also Daten, die das MES auf Grundlage der Steuerungsdaten einer Maschine generiert. Für solche Anwendungen gibt es im produzierenden Mittelstand durchaus eine Nachfrage: Prozessdaten werden weiterhin lokal vom MES verarbeitet, aber die nachfolgende Stufe der Auswertung für die Ermittlung von Kennzahlen oder die Bereitstellung von Reports wird in die Datenwolke verlegt. Dass sich der Mittelstand kaum für Cloud-Lösungen auf der Stufe der Prozessdatenermittlung interessiert, liegt auch daran, dass die von Verbänden und Branchenführern propagierten Cloud-MES-Lösungen keine Antwort darauf liefern, wie z.B. die für eine Maschine notwendigen Auftrags- und Bewegungsdaten von ERP und MES über die Cloud zur Maschinensteuerung gelangen sollen. Was die Zukunft bringt Sicherlich wird es in Zukunft auch MES- Lösungen geben, bei denen die Prozess daten über IoT-Sensoren an Maschinen und Anlagen nicht mehr lokal, sondern in der Cloud verarbeitet werden, weil es schlicht und ergreifend weniger aufwendig und mit geringeren Kosten verbunden sein wird. Auf diese Weise ließen sich z.B. in einer verketteten Produktion an verschiedenen Standorten die einzelnen Werkstücke über Seriennummern leicht verfolgen und organisieren. Bis aber auch Prozessdaten und Prozessvalidierung in der Datenwolke stattfinden, müssen die noch bestehenden Performance-Grenzen durchbrochen werden – vor allem aber muss die Skepsis gegenüber der Sicherheit derartig sensibler Unternehmensdaten in der Cloud sinken. Dies dürfte die weitaus größere Herausforderung für die Protagonisten cloud-basierter MES-Lösungen sein. Bilder: Fotolia/Mimi Potter; gbo datacomp Hannover Messe: Halle 7, Stand E11 www.gbo-datacomp.de Im Fokus Effizienz Sicherheit Nachhaltigkeit Der Betriebsleiter 4/2018 35

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