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Der Betriebsleiter 5/2017

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INTRALOGISTIK Mitten

INTRALOGISTIK Mitten rein statt außen rum Effizienzsteigerung mit innovativer Materialflusstechnik nach dem Injektionsprinzip Viele Unternehmen erreichen mit Lean Production beachtliche Produktivitätssteigerungen. Die Philosophie verfolgt eine strikte Prozessorientierung. Dabei gilt die Leitlinie: erst Prozess, dann Technik. Jedoch gibt es innovative Materialflusstechnologien, die das Potenzial haben, prozessorientierte Strukturen zu unterstützen sowie die Intralogistik mittels völlig neuer und hocheffizienter Prozesse zu revolutionieren. Einer davon ist das Injektionsprinzip. Autoren: Prof. Dr. Markus Schneider, Professor für Logistik, Material- und Fertigungswirtschaft an der Hochschule Landshut und Mitgesellschafter des Kompetenzzentrums Fabrikplanung; M. Eng. Stefan Kaspar, Senior Consultant, Kompetenzzentrum für Fabrik- und Standortplanung GmbH, Burghausen Ein gängiger, nach Lean-Kriterien geplanter Produktionsbereich besteht meist aus dezentralen Supermärkten, die in Form von Durchlaufregalen an den einzelnen Maschinen stehen. Der Maschinenbediener entnimmt die benötigten Teile aus dem Supermarktregal, in dem sämtliche, für den jeweiligen Fertigungsschritt benötigten Teile vorhanden sind. Die leeren Behälter werden anschließend in die Regale zurückgelegt und rutschen nach außen. Der leere Behälter bzw. die daran befestigte Kanban-Karte signalisiert für den Logistiker – häufig mit einem Routenzug unterwegs – einen Auftrag. Der Logistiker entnimmt den leeren Behälter, befüllt ihn entsprechend des Auftrags in einem zentralen Lager und liefert ihn in der nächsten Runde Auf den Punkt gebracht wieder an. Diese Lösung benötigt vergleichsweise viel Platz für die Supermarktregale und bedingt lange Laufwege bei der Mehrmaschinenbedienung. Zudem fährt der Routenzug außen um die Maschinen herum, was wiederum Flächen für Wege und Haltestellen erfordert. Material „injizieren“ Im Gegensatz dazu ist die Grundidee des Injektionsprinzips, Material nicht großflächig von außen anzuliefern, sondern möglichst nah am Standort der Maschinen in kleinen Mengen in den Produktionsbereich einzubringen, zu „injizieren“. Übertragen auf die Praxis bedeutet dies, Material von oben direkt an dem Platz, an dem es Beim Injektionsprinzip wird Material in kleinen Mengen mittels autonomen Transportrobotern direkt an dem Platz, an dem es benötigt wird, angeliefert. Dieses Prinzip ermöglicht nicht nur eine Reduzierung von Handhabungsvorgängen, einen beschleunigten Materialfluss und kürzere Laufwege, sondern insbesondere auch deutliche Flächeneinsparungen. Das Kompetenzzentrum Fabrikplanung integriert dieses Prinzip in die Werklayoutplanung, um mittelständische Fertigungsunternehmen mit gewachsenen und häufig kleingliedrigen Standortstrukturen besser aufzustellen und zusätz liche Flächen auch ohne Neubaumaßnahmen zu gewinnen. 28 Der Betriebsleiter 5/2017

INTRALOGISTIK 01a+b Als Enabler für das Injektionsprinzip fungieren autonome Transportroboter, die platzsparend an der Hallendecke entlang geführt werden benötigt wird, bereit zu stellen – also quasi mitten hinein in die laufwegoptimierte Anordnung mehrerer Maschinen. Somit wird die Richtung des Materialflusses umgedreht. Die Materialbereitstellung erfolgt nicht von außen, sondern von innen, von wo aus das Material dann nach außen abfließt. Der Transport beim Injektionsprinzip erfolgt mittels moderner Materialflusstechnik, die an der Hallendecke entlang geführt wird. Am Boden wird nur der Abgabepunkt in Form eines Behälteraufzugs benötigt. Dadurch können die Maschinen näher aneinander platziert werden. Aufgrund der Schnelligkeit und Reaktionsfähigkeit des Systems entfallen die Supermarktregale. Leere Behälter werden über den Behälteraufzug wieder in das System zurückgegeben und zur Leergutstation transportiert. Beim Injektionsprinzip bekommt der Maschinenbediener sämtliches Material aus dem Ausgabeturm in der Mitte bereitgestellt und befüllt die Maschinen. Im Vergleich zur konventionellen Lösung kann der Werkerbereich deutlich verkleinert werden, da der Maschienenbediener, der sich die überwiegende Zeit hier aufhält, das Material nicht mehr vom Rand seines Bereiches holen muss. Dies erlaubt kürzest mögliche Wege und eine reibungslose Mehrmaschinenbedienung. Nur bei Störungen, Um rüstvorgängen oder ähnlichem muss der Werker in den Maschinenbereich. Und nur hin und wieder müssen im grünen Fertigteilebereich Tätigkeiten wie etwa ein Behälterwechsel für Fertigprodukte durchgeführt werden. Dadurch kann eine Verkürzung der Laufwege um über 50 % erreicht werden. Transportroboter agieren als dezentrale Schwarmroboter Als Enabler für das Injektionsprinzip fungieren innovative Transportroboter, die als dezentrale Schwarmroboter agieren. Zu den wichtigsten Anbietern eines solchen Systems zählt die Servus Intralogistics GmbH mit Sitz im österreichischen Dornbirn. Mit deren Lösungen können beispielsweise alle betriebsinternen Logistikprozesse – vom Wareneingang über Lager, Büro, Produktion, Montage oder Kommissionierung bis zum Warenausgang – in einen effizienten, schnittstellenlosen Fließprozess integriert werden. Kernstück ist der intelligente und autonome Transportroboter Servus ARC3 (Autonomous Robotic Carrier). Individuell konfiguriert nach Größe, Leistung oder Lastaufnahmemittel kann der ARC nahezu alles transportieren. Dies reicht von einfachen Kartons, Boxen und Trays bis hin zu Schüttgut oder kundenspezifischen Werkstücken bis 50 kg. Ausgestattet mit modernen Technologien wie ABS, ESP, ASR und Energiemanagement mit Energierückgewinnung ist der ARC ein zuverlässiges und wartungsarmes Produkt. Die im ARC integrierten Lastaufnahmemittel ermöglichen selbständiges Be- und Entladen links oder rechts entlang der Strecke. Das System funktioniert ähnlich wie ein Taxiunternehmen. Über Hochfrequenz- Funktechnologie bekommt der ARC seine Aufträge von der direkt an die Kundensoftware angebundenen Zentrale und erledigt diese selbständig und immer auf dem kürzesten Weg. Durch modulare Komponenten kann das System nach dem Baukastenprinzip mit Lager- und Schienenelementen flexibel und platzsparend sowie für jeden Kunden maßgeschneidert gestaltet werden. Assistenten wie Heber oder Weichen erlauben eine einfache Anbindung dezentraler Lagerorte, Montage- oder Kommissionierplätze in verschiedenen Etagen oder Gebäuden. Fläche im Produktions- und Lagerbereich einsparen Im Rahmen der Fabrik- bzw. Werklayoutplanung bietet das Injektionsprinzip große Potenziale, insbesondere wenn es darum geht, wertvolle Fläche im Produktions- und Lagerbereich einzusparen. Vergleicht man eine Variante des Prozesses mit Supermarktregalen an den Maschinen und die Variante des Injektionsprinzips, ergibt sich eine Flächeneinsparung durch den Wegfall der Supermarktregale und die neue Art der Materialbereitstellung in der Mitte. Auch die benötigte Lagerfläche kann verringert werden, indem eine höher verdichtete Lagerung z. B. in einem automatisierten Hochregal lager möglich wird. Außerdem kann das Lager in Bereiche verlegt werden, die sonst nicht praktikabel zu nutzen wären. Entfernungen und gegebenenfalls auch unterschiedliche Gebäudeebenen spielen keine wichtige Rolle, da sie durch den Einsatz des Transportroboters und dessen Geschwindigkeit und Reaktionsfähigkeit kompensiert werden können. Um effiziente Abläufe zu erhalten, muss zuerst der Prozess richtig gestaltet werden. Jedoch kann eine innovative Materialflusstechnik einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Effizienz der Intralogistik weiter zu verbessern. Dabei dient die Technologie als Enabler, um neue, weiterentwickelte Prinzipien umzusetzen. So können deutliche Flächeneinsparungen erzielt werden, außerdem können Bestände weiter reduziert, höhere Umschlagsraten und ein beschleunigter Materialfluss mit weniger Handlingschritten umgesetzt sowie Laufwege in der Produktion reduziert werden. 02 Üblicher Produktionsbereich mit dezentralen Supermarktregalen an den einzelnen Maschinen 03 Injektionsprinzip mit Materialausgabe in der Mitte der Maschinen Die Aufzüge, die als Abgabepunkte dienen, können verhältnismäßig einfach an eine andere Position umgezogen werden. Durch den Einsatz von zusätzlichen Transportrobotern oder Aufzügen ist eine hervorragende Skalierbarkeit gegeben. Auch die Erweiterung des Lagers, gegebenenfalls auch an verschiedenen Orten im Werk, ist möglich. Ideal für gewachsene, kleingliedrige Werksstrukturen Das Injektionsprinzip eignet sich in besonderem Maße für Unternehmen mit gewachsenen und kleingliedrigen Werksstrukturen, die einen hohen logistischen Aufwand bedingen. Denn es können damit problemlos mehrere Gebäude verbunden werden. Somit verlieren diese Strukturen, Entfernungen oder Transporte über das Fabrikgelände ihre Bedeutung als Aufwandstreiber. Bilder: 1a+1b Servus Intralogistics, 2+3 Kompetenzzentrum Fabrikplanung www.kompetenzzentrum-fabrikplanung.de Im Fokus Effizienz Sicherheit Nachhaltigkeit Der Betriebsleiter 5/2017 29

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