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Der Betriebsleiter 10/2017

Der Betriebsleiter 10/2017

MONTAGE- UND

MONTAGE- UND HANDHABUNGSTECHNIK Eröffnet neue Perspektiven Digitales Menschmodell für ergonomische Betrachtungen Die Reduzierung physischer Belastungen für den Menschen lässt sich im realen Arbeitsumfeld nur eingeschränkt nachweisen. Deswegen werden für die Planung und Realisierung von Arbeitsplätzen und Hilfsmitteln zunehmend digitale Menschmodelle eingesetzt. Je nach Detailgrad des Modells lassen sich verschiedene Aussagen über die Belastungen am Arbeitsplatz treffen. Während mit einigen Modellen die ergonomische Gesamtgestaltung von Arbeitsplätzen betrachtet werden kann, lassen sich mit detaillierten Muskel-Skelett- Modellen Aussagen zur Reduzierung der Beanspruchung einzelner Körperteile treffen. Insbesondere biomechanische Modelle eröffnen neue Perspektiven im Hinblick auf die Arbeitsplatz- und Produktgestaltung. Sie erheben den Anspruch, auf den Körper wirkende mechanische Belastungen gezielt zu untersuchen sowie die Interaktionen zwischen Mensch und Umgebung im Detail abzubilden. Beispiel: Entwicklung eines Daumenunterstützers Beispielsweise wurde im Rahmen einer Anwenderstudie ein biomechanisches Muskel-Skelett-Modell zur Entwicklung und Validierung einer Unterstützung für den Daumen des Mitarbeiters (Daumenunterstützer) beim Eindrücken von kleinen Bauteilen – wie Stopfen und Klipsen – genutzt. Das Modell wurde mit der Software AnyBody aufgebaut. Diese enthält eine Bibliothek verschiedener Menschmodelle, mit denen sowohl kinematische als auch invers dynamische Analysen durchgeführt werden können. Das Modell verwendet als Grundlage das in AnyBody vorhandene Ganzkörpermodell (AAU Human) auf Motion-Capture-Basis und besteht aus Oberkörper sowie rechter Autorin: Christin Hölzel, Ergonomiespezialistin bei der BMW Group Software für muskuloskelettale Simulation Das „AnyBody Modeling System“, kurz AnyBody, ist ein Softwaresystem für muskuloskelettale Simulationen. Mit AnyBody lässt sich die Mechanik des menschlichen Bewegungsapparats unter Berücksichtigung der Muskeln analysieren und es können beispielsweise Aussagen über Muskel- oder Gelenkkräfte, die elastische Energie in Sehnen oder die Muskelaktivität getroffen werden. Aufgrund der wertvollen Informationen, die AnyBody hinsichtlich der körperlichen Bean spruchung liefert, wird es u. a. in der Ergonomiebewertung eingesetzt. Distributor für die Software ist die CADFEM GmbH. Hand und rechtem Arm. Zur Modellierung des Hand-Arm-Systems wurde das detaillierte Handmodell in abgewandelter Form verwendet. Auf die Implementierung realer anatomischer Muskeln wurde aufgrund von fehlenden Studien verzichtet. Stattdessen erfolgte die Steuerung jedes Gelenkfreiheitsgrades über einen Gelenkmuskel. Dieser Muskel summiert alle für die Be wegung des Gelenkes notwendigen Momente auf und bildet damit ein Netto gelenkmoment ab. Mit Hilfe des Modells konnten anhand aufgezeichneter Bewegungs- und Kraft daten die auf das Hand-Arm-System und speziell auf den Daumen wirkenden Belastungen untersucht werden. Die Erfassung der Bewegungsdaten erfolgte beim Verbau von Stopfen in einem Bodenblech mit dem kamerabasierten Vicon-System, die der Kraftdaten mit einer 3-achsigen Kraftmessdose. Simulieren, analysieren, berechnen Mit dem vorgestellten Modell wurden zunächst die realen Bewegungen simuliert (kinematische Analyse) und im zweiten Schritt mit einer invers dynamischen Analyse die notwendigen Gelenkmomente zur Stabilisierung des Daumens berechnet. Die Simulationsergebnisse zeigten eine deutliche Überstreckung im Daumenend- sowie im Daumengrundgelenk. Vor allem im Daumenendgelenk traten beim Großteil der Probanden extreme Gelenkwinkel auf. Zudem waren im Daumensattelgelenk häufig sogenannte Antepositionen (Daumen in nahezu senkrechter Position zur Handfläche) und Abduktionen (Daumen vom Zeigefinger weg abgespreizt) erkennbar. Erkennbare Gelenkmomente traten an allen drei Daumengelenken auf. Am Daumenendgelenk waren insbesondere die Flexionsmomente hoch. Da extreme Gelenkwinkel, hohe Aktionskräfte und viele Wiederholungen das Auftreten von Muskel- Skelett-Beschwerden begünstigen, wurde basierend auf den Ergebnissen der Simulation der Daumenunterstützer entwickelt. Dieser fixiert den Daumen des Mitarbeiters zum Zeitpunkt der Kraftaufbringung in einer neutralen Gelenkposition und verteilt 12 Der Betriebsleiter 10/2017

01 Daumenunterstützer für die Stopfenmontage am Bodenblech. Hier wurde ein biomechanisches Muskel-Skelett-Modell zur Entwicklung und Validierung genutzt die Last von der Daumenspitze auf den kompletten Daumen. Der Daumenunterstützer erlaubt weiterhin eine ausreichende Flexibilität beim Greifen von Teilen. Durch einen 3D-Scan des Daumens des jeweiligen Mitarbeiters erfolgte die individuelle Anpassung des Daumenunterstützers, um eine optimale Passform sowie Funktionalität sicherzustellen. Fragebogenstudien wiesen eine Entlastung des Daumens durch den Daumenunterstützer nach, denn die Probanden empfanden eine fühlbare Erleichterung beim Eindrücken von Stopfen. Um den Einfluss des Daumenunterstützers objektiv – mit Hilfe der digitalen Simulation – zu untersuchen, musste das vorgestellte Muskel-Skelett-Modell im Bereich der Hand leicht abgewandelt werden. Die Integration des Daumenunterstützers in das Modell erfolgte in Form eines starren Segments. Dieser Modellierung lag die Annahme zugrunde, dass sich der Unterstützer zum Zeitpunkt der Krafteinwirkung nicht verformt. Die Simulationsergebnisse zeigten reduzierte Gelenkmomente am Grund- und Endgelenk des Daumens. 02 Stabilisierung und Unterstützung des Daumens durch den Daumenunterstützer Obwohl das stark vereinfachte Modell nur eine eingeschränkte Interpretation der Ergebnisse aus physiologischer Sicht ermöglicht, sind die getroffenen Vereinfachungen im Hinblick auf die Untersuchung der Beanspruchungsreduzierung durch den Daumenunterstützer zielführend. Das Modell ist nach ersten Einschätzungen ein geeignetes Werkzeug, um die in den Daumengelenken entstehenden Beanspruchungen abzubilden. Fazit Mit der Studie konnte gezeigt werden, dass digitale Menschmodelle wertvolle Informationen bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen nach ergonomischen Prinzipien leisten können. Zudem erlauben sie Aussagen hinsichtlich der in der Realität nur eingeschränkt messbaren physiologischen Beanspruchung. Durch das Einbringen von geometrisch korrekten 3D-Modellen unterstützender Systeme lassen sich Interaktionen zwischen dem Menschen und der Unterstützung abbilden. Beanspruchungsreduzierende Effekte können so bereits während der Planung von Prozessen und Arbeitsplätzen überprüft werden. Zusätzlich ist es möglich, bei bestehenden Lösungen, die dem Stand der Technik entsprechen, die tatsächliche Reduzierung der Beanspruchung von Muskel-Skelett-Strukturen zu bewerten. Quellen: [1] Smutz, P. W., Kongsayreepong, A., Hughes, R. E., Niebur, G., Cooney, W. P., & An, K.-N. (1998). Mechanical advantage of the thumb muscles. Journal of Biomechanics, 31(6), 565–570. doi:10.1016/S0021-9290(98)00043-8. [2] Lieber, R. L., Jacobson, M. D., Fazeli, B. M., Abrams, R. A., & Botte, M. J. (1992). Architecture of selected muscles of the arm and forearm: Anatomy and implications for tendon transfer. The Journal of Hand Sur-gery, 17(5), 787–798. doi:10.1016/0363- 5023(92)90444-T. [3] Jacobson, M. D., Raab, R., Fazeli, B. M., Abrams, R. A., Botte, M. J., & Lieber, R. L. (1992). Architectural design of the human intrinsic hand muscles. The Journal of Hand Surgery, 17(5), 804–809. doi:10.1016/0363-5023(92)90446-V. www.cadfem.de Mit den neuen Safety Installationssystemen. ■ ■ ■ ■ ■ Einfache Verdrahtung von Sicherheitsschaltern in Reihenschaltung Passive Feldbox PFB für den vielseitigen industriellen Einsatz Passives Verteilermodul PDM für hygienesensible Anwendungen Aktive Eingangserweiterung SRB-E-PE für alle Sicherheitsschalter SD-Interface für die Übertragung umfangreicher Diagnosedaten www.schmersal.com Besuchen Sie uns auf der Motek 2017, Halle 7, Stand 7103. Wir machen Ihre Maschine sicher. Im Fokus Nachhaltigkeit Effizienz Sicherheit

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